Egal wo wir auch hinsehen, überall scheint es immer nur um das eine zu gehen. Wir leben in einer Gesellschaft, die an nichts anderes mehr denken kann. Man kann kaum noch einen Satz sagen, ohne dass ihn jemand falsch versteht. Es ist fast schon eine Sucht darüber zu sprechen.
Lange Zeit hat man sich noch nicht einmal getraut das Wort in den Mund zu nehmen. Es war nunmal ein Tabuthema. Man hat nicht darüber gesprochen. Ebenso wenig wie über die Kriegszeit. Natürlich hat man hier und da mal etwas gehört und irgendwie wurde das Thema doch angeschnitten, aber immer alles sehr wage und oberflächlich. Über mögliche Risiken wurde nicht geredet. Die Frau war des Mannes Untertan und hatte zu gehorchen.
Die Generation meiner Eltern gingen da schon eher auf das Thema ein. Sie haben selbst noch miterlebt, wie alles Tod geschwiegen wurde. Sie gehören aber auch zu der ersten Generation, welche die Anfänge des HI-Virus mitbekommen haben. Sie kennen die Folgen dieser Krankheit. Ihnen war klar, dass man das Thema Sex behandeln muss. Ihnen war wichtig, dass ihre Kinder aufgeklärt werden. Sie wollten nicht, dass sich ihre Kinder mit dem HI-Virus ansteckten. Damals war diese Krankheit noch tödlich. Heute haben HIV-Positive eine gleich hohe Lebenserwartung wie andere.
Die Hemmschwelle ist seitdem von Generation zu Generation gesunken. Für manche scheint es ein Thema wie jedes andere zu sein. Als ob es um den Wocheneinkauf im Supermarkt ginge.
Aber nicht nur Jugendliche sprechen plötzlich über Sex auch ältere Menschen sprechen nun darüber. Sogar im Altersheim gibt es den ein oder Anderen, welcher auf seine alten Tage noch mal etwas Schönes erleben möchte. Hier ist es aber immer noch ein Tabuthema. Unser Bild von alten Menschen muss nochmal überholt werden. Es sind eben nicht nur alte, gebrechliche Menschen die im Bett liegen und evtl. mal einen kleinen Spaziergang mit ihrem Rollator machen. Nein, auch sie haben noch gewisse Bedürfnisse. Doch Pfleger und Angehörige lernen erst langsam damit umzugehen. Vor allem bei Demenzkranken scheint dies häufiger der Fall zu sein. Die Pflegekräfte sind nicht ausreichend dafür ausgebildet. Es ist eine vollkommen neue Situation für sie, wenn der Patient Annäherungsversuche unternimmt. Dies geht so weit, dass sich manche Pfleger schon gar nicht mehr trauen bestimmte Patienten zu behandeln.
Catharina König ist ehemalige Steuerfachangestellte. Sie sagt selbst, dass sie "gut Menschen spüren" könne. So ist sie auch auf die Idee gekommen, als Sexualbegleiterin zu arbeiten. Anfangs hatte sie ausschließlich Menschen mit Behinderung als Kunden. Nach und nach sind aber auch Senioren hinzugekommen. Oft würden alte Menschen gar nicht mehr als körperliche Nähe wollen: "Ich nehme sie in den Arm, streichele, schaffe einen Raum von Intimität." Letztlich sind es nur Zeichen menschlicher Vertrautheit, für die im Alltagsbetrieb eines Heimes leider nur selten Zeit bleibt.
Catharina König erkundigt sich immer nach ein paar Tagen, wie ihre Dienstleistung gewirkt hat. Sie bekommt fast nur positive Rückmeldungen. Das Wohlbefinden nach Massagen oder intensiver Körpernähe halte oft länger als die Befriedigung nach einem Orgasmus. Geschlechts- und Oralverkehr bietet sie aber nicht an.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Sex eines der Hauptthemen überhaupt ist. Dabei denken wir alle zuerst an den Geschlechtsverkehr an sich. Dem zeugen von Kindern und der Befriedigung danach. Dass es aber auch andere Gründe geben kann, darauf kommt kaum jemand.
Die Universität Rostock hat kürzlich eine Studie zu Thema Liebe, Sex und Zärtlichkeiten herausgebracht. Es wurden insgesamt 194 Menschen im Alter von 74 Jahren befragt. Das Ergebnis: 91 Prozent der Männer und 81 Prozent der Frauen fanden Zärtlichkeiten wichtig. Knapp zwei Drittel der Männer fanden Sex wichtig oder sogar sehr wichtig. Bei den Frauen war der Trieb nicht mehr so ausgeprägt.
Vielleicht ist es langsam an der Zeit, dass wir anfangen umzudenken. Wenn wir über das Thema Sex nachdenken oder darüber Sprechen, dann sollten wir nicht immer nur den Geschlechtsverkehr an sich und die Befriedigung danach betrachten. Es sind auch die Zärtlichkeiten die wir austauschen. Die Nähe zu einem anderen Menschen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen