Montag, 11. Mai 2015

Das innere Coming Out

Es gibt bestimmte Fragen, die werden einem immer wieder gestellt. Fragen, die teilweise sehr ermüdend sein können. Manche erklären sich von selbst. Andere kann man nicht beantworten, da man kein Vergleich ziehen kann.
Nachdem man sich bei Freunden, Verwandten, Bekannten oder Kollegen als schwul geoutet hat, kann es zu unterschiedlichen Reaktionen des Gegenüber kommen. Manche reagieren ablehnend und wollen nichts mehr mit einem zu tun haben. Anderen muss man versichern, dass es kein Scherz sei. Nachdem der erste Schock überwunden wurde, wird man dann auch mit Fragen und Kommentaren durchlöchert. Man merkt gar nicht, dass du schwul bist. Du kannst froh sein keine Frau zu haben. Wie ist es schwul zu sein? Wann hast du gemerkt, dass du schwul bist? usw. usw.
Manchmal komme ich mir vor, als sei ich ein Außerirdischer von weit weit weg, der gerade in einem Verhör sitzt und sämtliche Fragen wahrheitsgemäß beantworten muss. Aber manche Dinge gehen auch den allerbesten Freund/ allerbeste Freundin nichts an.
Ein Outing mag für viele heutzutage selbstverständlich sein, aber dass ist es keineswegs. Bis es zu dem Augenblick kommt, wo man die magischen drei Worte spricht, die alles verändern können, ist es ein weiter Weg. Das Coming Out umfasst schließlich nicht nur das öffentliche Bekenntnis zur Homosexualität, sondern auch die dazugehörige Vorgeschichte. Der Weg von den ersten homosexuellen Neigungen bis hin zum Eingeständnis schwul zu sein. Diesen Weg bis man seine Nicht-Heterosexualität akzeptiert, nennt man auch das innere Coming Out.

Wenn ich an diese Zeit zurück denke, war es für mich eine Zeit voller Höhen und Tiefen. Manchmal frage ich mich sogar, warum ich nicht schon früher erkannt habe, dass ich schwul bin. Letztlich habe ich immer nur den Jungs hinterhergeschaut. Wenn ein Freund eine Beziehung hatte, war ich nicht neidisch auf ihn, sondern auf seine Freundin. So erging es mir auch bei den diversen Paaren, die man in der Stadt traf. Immer wieder schaute ich den Jungs hinterher. Die Mädchen haben mich eigentlich nie interessiert. Ich konnte Damit noch nie etwas anfangen. Nur ein einziges mal habe ich mir die Frage gestellt, ob ich mich eventuell in eine Klassenkameradin verliebt habe.
Die Schulklasse, in die ich ging, wurde mit der Zeit immer kleiner. Der Zusammenhalt untereinander wurde dadurch aber auch besser. Alles, was wir gemeinsam erlebten, taten wir oftmals als Klassengemeinschaft. Eines Tages machte mich meine Mutter dann auch darauf aufmerksam, dass mich eine Klassenkameradin ganz verliebt ansehen würde. Einige Tage später verkündete sie, dass sie keinen Freund mehr habe. Ich musste natürlich an die Worte meiner Mutter denken. So kam es, dass ich mir Gedanken darüber machte, ob ich mich in meine Klassenkameradin verliebt habe, ich konnte auch nicht abstreiten, dass ich sie nicht mochte. Ich kam aber zu dem Schluss keine Beziehung mit ihr anzufangen. Irgendetwas sagte mir schon damals, dass ich nicht heterosexuell bin.
Dennoch gehörte es immer zu meinem Traum eines Tages eine Frau und Kinder zu haben. Ein Haus zu besitzen und ein Auto. Mir erging es wie vielen anderen wohl auch. Ich ging davon aus, dass ich heterosexuell bin. Auch als erstmals die Frage "bin ich schwul?" aufkam und ich mich im Internet informierte, kam ich zu dem Schluss, dass ich nicht schwul sein muss. Sämtliche Internetseiten, die über Homosexualität aufklären gab es damals nicht oder befanden sich im Aufbau. Vielleicht habe ich mich aber auch nicht intensiv genug mit dem Thema befasst. Homosexualität ist schließlich auch heute noch ein Thema über das nicht gerne gesprochen wird. Ich machte also weiter wie bisher und hoffte eines Tages doch eine Freundin zu haben.
Doch die Unsicherheit wuchs mit jedem Tag. Ich fühlte mich fehl am Platz. Keiner schien ähnliche Gefühle zu entwickeln. Sogar im Sexualkundeunterricht wurde nur über Verhütung und das Liebesleben zwischen Mann und Frau gesprochen. Homosexualität, Bisexualität, Transsexualität, all diese Themen wurden nie angesprochen. Es wurde tabuisiert und somit, wenn auch unbewusst, als falsch deklariert. Mein Selbstwertgefühl litt darunter. Meine schulischen Leistungen wurden schlechter und ich hatte niemanden, an den ich mich wenden konnte. Niemand zog in Betracht, dass ich vielleicht nicht nur faul war, sondern mich andere Dinge quälten.
Eine Aufklärungsstunde über LGBT-Menschen ist vielleicht nicht in jedermanns Sinn. Aber ich glaube, dass es mir in meinem Outing geholfen hätte. Es geht schließlich darum Vorurteile beiseite zu räumen und den Schülern zu verdeutlichen, was es bedeutet schwul, lesbisch, bi oder trans zu sein. Zudem können so erste Kontakte in die Szene geknüpft werden und das innere Coming Out fällt so eventuell leichter.

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